Die Zeit steht still. Was gäben wir jetzt für den Alltag von gestern!

Foto: Udo Schroeter 

Bornholm, 19.März 2020.

Die Zeit steht still. Man hört vormittags Kinderstimmen aus den Nachbargärten.
Das habe ich 13 Jahre lang nicht erlebt.
Die Eltern sind mit ihren Kindern Zuhause. Quality-time at home.
Mütter und Väter radeln mit ihren Kindern entspannt an unserem Innenhof vorbei, in dem ich draußen in der Sonne sitze. Seit fast 3 Stunden. Ohne ein Projekt. Ohne einen Gedanken. Einfach so.
Alles steht auf Pause: Workshops, Coachings, Seminare, Ferienhausgäste.

Man hört Rasenmäher. Am Himmel nicht ein Kondenzstreifen. Auf der Baustelle der acht Sommerhäuser, die nebenan auf dem ehemaligen Campingplatz gebaut werden, ist es still. Baufahrzeuge stehen verwaist dar.
Keiner arbeitet in diesen Tagen.

Junge Menschen gehen vorbei. Einzeln. Sie gehen spazieren. Einfach so. Sie genießen die Sonne und wissen es plötzlich zu schätzen, aus den eigenen vier Wänden herauszukommen und frische Luft einzuatmen und den Frühling auf der Haut zu spüren.

Die Zeit steht still.

In den Läden begegnet mir Anspannung. In dem kleinen Supermarkt in unserem Dorf sind extra Sicherheitsscheiben zwischen Kunden und Kassierern angebracht worden. Die Menschen halten Abstand.
Leider verlernen Einige das Lächeln, schauen argwöhnisch. Ich sehe die Angst in den Gesichtern.
Eigentlich grüßt immer jeder freundlich beim Fahrradfahren und Spazierengehen. Jetzt schauen Viele betreten und ängstlich nach unten, wenn sie mir auf dem Fahrrad entgegen kommen.
Wenn ich nur weiterhin freundlich lächle, wird es schon gehen….
Du bist nicht mein Feind lieber Nachbar!

Bornholm ist ein guter Ort, um isoliert zu sein. Vom Festland. Von Europa. Von der Welt.
Ich fühle Dankbarkeit für unseren großen Garten, für die Strände vor der Tür, das Meer, die Klippen, die Täler und Wälder. Die Anemonen stehen prächtig in strahlendem Weiß und Blau. Ich pflücke jeden Tag Bärlauch. Vitamin C stärkt das Immunsystem. Die Knospen springen auf, der Frühling zeigt sich mehr und mehr. Alles ist perfekt. Friedlich. Ruhig.

Solange die Gedanken still halten. Solange uns nicht die Angst packt.
Ich lebe einen Tag nach dem anderen. Einen Tag zur Zeit. Denke nicht an Morgen. Nicht an Übermorgen.
All das zeigt uns, wie zerbrechlich unsere Welt ist. Das wird nichts, absolut nichts kontrollieren. Wir haben es gedacht, aber werden eines Besseren belehrt.
Und all das zeigt uns, wie schön ein Alltag ist, über dessen Eintönigkeit wir in unserer Überflussgesellschaft so oft klagen. Ein Alltag, dem wir oft nur mit Konsum, vielen Reisen und digitaler Ablenkung entfliehen können.
Was gäben wir jetzt für diesen Alltag von gestern!

„Die Welt lernt gerade, wie wenig sie braucht“, weise Worte unseres Sohnes, 20 Jahre alt.

Am Ende dieses Jahres 2020 werden wir zurückschauen auf diese Zeit. Vielleicht sogar wehmütig.
Weil wir alle in diesen Tagen solidarisch waren.
Weil das WIR mehr wert war als das ICH.
Weil Familie, Freunde und Mitmenschlichkeit wieder einen ganz besondere Wichtigkeit und Stellenwert erhielten. Weil wir uns wieder mit unseren Herzen gezeigt haben, mit unserer Verletzlichkeit, mit unseren Ängsten, aber auch mit Mitgefühl, Hilfsbereitschaft und Solidarität.
Weil wir wieder ins Fühlen gekommen sind für Menschen in Krisengebieten und Not.
Denn kurz, ganz kurz waren wir selber betroffen. Das veränderte alles.

Die Zeit steht still in diesen Tagen im März auf Bornholm.

19 Kommentare zu “Die Zeit steht still. Was gäben wir jetzt für den Alltag von gestern!

  1. Liebe Steffi, lieber Udo,

    mein Mann wäre jetzt auf Bornholm zum Angeln und wir haben für Juni und September geplant.
    Ich wage schon gar nicht mehr zu hoffen. Mir gibt die Insel so viel Kraft und innere Einkehr.
    Wie in einer anderen Mail würden wir uns gerne auf die Insel zaubern…

    Wir wünschen euch alles Gute und Gesundheit in diesen schwierigen Zeiten.

    Liebe Grüße Michael und Yvonne

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  2. Liebe Steffi,
    ganz lieben Dank für Deine umfassenden mitfühlenden veilseitigen mutmachenden einordnenden Zeilen! Zusammen mit meinen Gedanken an meine Wohlfühlinsel Bornholm (weil es schon vorher nicht so abgehoben-überzogen war…) hilft es beim Leben jetzt. Alles Gute udn gGesunde für Dich, Deine Familie und die angenehmen Bornholmer!
    Ute in Dresden

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  3. Danke und immer wieder danke für Deinen Text und das wunderbare Foto.
    Was für eine Hilfe in dieser Zeit. Fast jeden Tag lese ich Deine Zeilen und sie helfen. DANKE.
    Alles Liebe und bleiben wir gesund.
    Deine Elke B.

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  4. Hallo liebe Bornholmer. Wir wollten eigentlich am 4.4. mit unseren Kindern auf unserer Trauminsel Urlaub machen. Der Artikel spricht mir aus dem Herzen. Ich wünsche uns allen, dass wir gesund durch diese Zeit kommen. Wir werden nächstes Jahr zu Ostern hoffentlich den Urlaub nachholen können. Gerlind

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  5. Liebe Steffi, in diesen Tagen sauge ich sehnsüchtig jede Impression meiner zweiten Heimat auf – der Gedanke, nicht jederzeit auf ‚meine‘ Insel reisen zu können, war für mich bisher unvorstellbar… das Virus hat mich eines Besseren belehrt.

    Meine Tochter ist aus Kopenhagen nach Snogebæk geflüchtet… ich beneide sie sehr – aber somit können auch wir uns nicht sehen. Ich denke, wenn diese Zeit überstanden ist, werden wir Selbstverständliches wieder mit anderen Augen sehen und jede Form der ‚Normalität‘ als ein Geschenk zurück genießen.

    Bleibt gesund, versucht das Beste aus der erzwungenen Auszeit zu machen und verfallt nicht zu schnell wieder in den alten Trott! Liebe Grüße, Birgit

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  6. Liebe Steffi, vielen herzlichen Dank für Deine besinnlichen Beschreibungen dessen, was Du gerade erlebst und wie es Dich berührt❣️ Wir sind oft in Gedanken auf der Insel, Erinnerungen lassen schwere Zeiten etwas leichter werden. Alles wird gut❣️ Wir sehen uns im August, das glaube ich ganz fest🍀 Alles Gute und bleibt gesund, herzlichst Corrina und Dirk

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  7. Liebe Steffi

    Vielen Dank für Deinen zauberhaften Beitrag. Soo schön geschrieben!

    Unsere Bornholm- Reise ist verschoben; aber Deine E-Mail tröstet über das Fernweh hinweg und lässt uns doch ein Stückchen teilhaben an „Bornholm“.

    Herzliche Grüße von Marion Ganz im Sinne von:

    >

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  8. Danke Steffi für Deine Worte ! Sie berühren und beruhigen . Wir beneiden Dich in diesen Tagen um das Meer. An Ostern verzichten wir auf die Nordsee. Ob wir im Sommer auch auf die Ostsee verzichten müssen, wissen wir noch nicht. Aber was wir wissen : alles wird gut.

    Liebe Grüße Maike
    …mit Maik, Ole, Ida

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  9. Liebe Andrea, ich verstehe alle nur zu gut, dass sie um den Urlaub bangen… aber Urlaub ist Luxus und Gesundheit ist die wirkliche Freiheit. Das dürfen wir derzeit nie vergessen! Ich hoffe natürlich trotzdem, dass Ihr und alle anderen Urlauber bald wieder nach Bornholm reisen könnt. In diesem Sinne: Vi ses! Liebe Grüße! Steffi

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  10. Liebe Kerstin, DANKE auch für deine schönen Worte. Ja, die Verbundenheit ist zu spüren… ohne dass man sich trifft. Sende dir gute und umärmelnde Gedanken. Alles Liebe von der Insel! Steffi

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  11. Liebe Gabie, ja das hoffen wir alle. Einen Tag nach dem anderen… Liebe Grüße von der Insel! Steffi

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  12. Ja Gerd, ich denke auch, dass wir das alle brauchen, um zu lernen und zu erkennen …. Hoffe auch, dass der Sommer der Sommer wird. Vi ses 🙂 Alles Liebe für Euch! Steffi

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  13. Auch hier ist mir die Welt in den letzten Jahren selten so entspannt und entschleunigt vorgekommen – wenn ich mal von der manchmal sogar leicht gereizten Stimmung im Supermarkt absehe. Vielleicht brauchten wir genau so ein Ereignis, zur rechten Zeit, um wieder zu uns zu finden. Liebe Grüße – wir sehen uns hoffentlich im Sommer!

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  14. Danke für Deine tolle Mail!….und ich hoffe trotzdem am 20. Mai mit der Fähre nach Bornholm fahren zu dürfen! Wie heißt es denn so treffend: “ Die Hoffnung stirbt zuletzt!“ Liebe Grüße! Gabie

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  15. Liebe Steffi,lieber Udo. Ja so empfinde ich auch – die Zeit steht still. Ich sitze auch lange Zeit im Garten,ohne Projekt,ohne Gedanken,einfach so. Ich hatte schon lange Sehnsucht danach,auf Bornholm gab es diese Augenblicke, doch nun erlebe ich sie auch hier und fühle eine große Dankbarkeit ,die mich den Himmel berühren lässt.Ja,ich lächle weiterhin freundlich und umgebe mich mit Herzenswärme.Und es wird schon gehen, denn ich fühle mich verbunden mit lieben Menschen und warmen Gedanken. Ganz liebe Grüße von Kerstin aus Cuxhaven

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  16. Liebe Steffi,

    vielen Dank für diese bewegenden Worte und Eindrücke.

    Wir bangen um unseren jährlichen Bornholm-Urlaub im Mai, wohl wissend, dass die Gesundheit und Sicherheit der Menschen vorgeht. Trotzdem kommt Wehmut auf, wenn ich deine Zeilen lese und ich würde mich mehr als gerne auf die Insel „beamen“.

    Vielleicht geschieht ja ein Wunder und wir können reisen, aber wer weiß das schon? Und wenn nicht, dann vielleicht wieder im nächsten Jahr. Es ist zu schön auf Bornholm.

    Bleibt vor allem gesund und haltet die Stellung auf der schönsten Insel aller.

    Herzliche Grüße aus Berlin

    Andrea Kossack

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